Verstummt ist die Diskussion, ob Nachhaltigkeit bei Finanzprodukten eine Nische ist. Angesichts der Umlenkung globaler Finanzströme durch Regulierer, der expansiven Fiskalpolitik sowie sich wandelnder Ansprüche der Verbraucher ist dies keine Überraschung: Nachhaltigkeit entwickelt sich zu einer neuen Norm.
Aber ein großes Problem ist, dass noch keine definierten ESG-Richtlinien verabschiedet und EU-Regulierungsprojekte wie die Taxonomie, MiFID2 und die Offenlegungsverordnung noch nicht harmonisiert sind. Folglich divergieren die Analysen nachhaltiger Researchhäuser mitunter stark.
Ein weiteres Problem ist die Marketingmaschinerie. Nachhaltigkeit ist jetzt so bedeutsam, dass es – zumindest auf den ersten Blick – Hunderte von Anbietern grüner Produkte gibt. Viele Vermögensverwalter, Banken, Börsen, Datenanbieter oder Ratingagenturen hatten vor wenigen Jahren nicht ein einziges nachhaltiges Produkt, gerieren sich heute aber als Vorreiter: Wo Billionen Euro veranlagt werden, ist so mancher bestrebt, sich in der öffentlichen Wahrnehmung schnell von der Heuschrecke zum Umweltengel zu wandeln. Das ESG-Marketing ist im vollen Gange und lässt Verbraucher im grünen Nebel stehen.
Zweifel kommen auf, etwa beim Fall eines Impact-Rechners, den eine Fondsgesellschaft nach Unterlassungsansprüchen einer Verbraucherzentrale wieder von ihrer Website nahm. Ein anderer großer deutscher Anbieter steht wegen Nachhaltigkeitsangaben zu seinen Fonds in der Kritik. Wie viele Fälle sind noch unentdeckt? Ich wage zu behaupten, dass sich mangels einheitlicher Standards und aufgrund unterschiedlicher Maßstäbe über fast jedes Anlageprodukt kritisch berichten ließe. Der ehemalige Chefanleger des größten US-Vermögensverwalters bezeichnete ESG gar als „tödliche Ablenkung“ von den eigentlich erforderlichen Lösungsansätzen. Darum wächst die öffentliche Skepsis.
Grüne Detektivarbeit
Warum ist es so schwer zu beurteilen, ob eine Firma nachhaltig unterwegs ist? Drei Beispiele: Ein großer Getränkehersteller weist geringe CO2-Emissionen aus – klar: die Subfirmen übernehmen die CO2-intensive Logistik. E-Commerce-Konzerne stoßen selbst wenig CO2 aus – aber ist ihr Geschäftsmodell, Produkte um die Welt zu schicken, nachhaltig? Ein Fondsgigant propagiert Klimaschutz – und finanziert zugleich Entwaldung mit, was mindestens widersprüchlich ist und nach branchenspezifischen Klima- und ESG-Risikobewertungstools für schädliche Industrien schreit.
Doch selbst bei Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette von der Energiegewinnung bis zum Ende eines Produktlebenszyklus mangelt es an genauen Daten. Trotzdem halte ich eine transparente, detaillierte Berichterstattung nach bestem Wissen und Gewissen für den richtigen und wichtigsten Lösungsansatz.
Eine weitere Lösung können externe, unabhängige Ratings sein. Das Analysieren umfangreicher Nachhaltigkeitsberichte erfordert Zeit und Fachkenntnis. Ratings oder Siegel sichern Mindeststandards. Für das etablierte FNG-Fondssiegel etwa müssen sich Anbieter einmal im Jahr von der Universität Hamburg als unabhängigem Auditor prüfen lassen. Der Qualitätsstandard schafft auch Transparenz, die eine Schlüsselrolle spielt.
Weit voraus sind bei der Transparenz die Skandinavier. Die schwedische Regierung etwa begann bereits 2001 mit der Umsetzung und laufenden Veröffentlichung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, was unter anderem dazu führte, dass das Land heutzutage die Rankings der umweltfreundlichsten Länder – dicht gefolgt von Norwegen und Dänemark – anführt. Ob beim Klimaschutz, dem Bildungssystem oder bei der Gleichberechtigung – die Nordländer gelten als Vorbild für eine moderne nachhaltige Gesellschaft.
Auch der Finanzbereich gilt als vorbildhaft. Einige skandinavische Häuser waren im Jahr 2006 Mitgründer der UN-Prinzipien für Verantwortliches Investieren. Die UN PRI gelten als Gradmesser für die Finanzindustrie. Nach zweijährigem Boom sind es heute 4308 Unterzeichner. Der Schwerpunkt der Nordics liegt längst auf dem Nachweis des Impacts von Investitionen, deren soziale oder Umweltwirkungen. Ausschlüsse sind nur flankierend relevant.
Vielmehr nehmen bei Skandinaviern seit Jahren aktive Dialoge mit Unternehmen und Abstimmungen auf deren Hauptversammlungen breiten Raum ein, ein in Deutschland noch recht unbestelltes Feld. Solches Engagement bietet Portfoliomanagern eine größere Informationsbasis für Firmenanalysen und Investitionsentscheidungen. Das Verständnis, wie Unternehmen mit wesentlichen ESG-Risiken und -Chancen umgehen, kann die Titelauswahl entscheidend beeinflussen.
ESG- und CO2-Daten gehören ins Portfoliomanagementsystem integriert. Bei progressiven Häusern stehen sie allen Anlageexperten nicht nur zur Verfügung, sondern diese nutzen sie systematisch. Das nicht zu tun, birgt finanzielle Risiken und schwächt die Glaubwürdigkeit, wie in Deutschland gerade erlebbar. Greenwashing schadet dem seriösen nachhaltigen Finanzsegment.
Die Messung
umweltbezogener Risiken und Chancen sollte möglichst bald flächendeckend umgesetzt sein. Anlegerinnen und Anlegern sollten diese Daten im Sinne der Produktwahrheit und –klarheit in hinreichender Detailtiefe zugänglich gemacht werden. Es gilt einmal mehr: Sagen, was ist. Dann können Investoren selber entscheiden, ob die jeweilige Anlagephilosophie dem eigenen Anspruchsdenken genügt.
Eins ist klar: Der Nachhaltigkeitsprozess ist komplex und langwierig. Von Produktanbietern ist kaum zu erwarten, bereits am Ziel zu sein. Diesen Eindruck sollte die Finanzwirtschaft auch nicht versuchen zu vermitteln. Ein glaubwürdiges Bestreben und Tun ist der Weg, nicht auch verbleibendes Vertrauen in die Finanzwelt zu verspielen.
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